18. Oktober 2009

Fiktion und Realität

Es gibt einen Grund, warum die Darsteller in vielen Gummifilmen bereits in voller Montur die Szene betreten. Auch zu Hause überrascht die Gummidame lieber mit entsprechender Vorbereitungszeit. Gummikleidung ist nichts für Schnellentschlossene: Das Höschen hochziehen und glattlegen -- eine Minute. Den geklebten halterlosen Strumpf aufrollen, ansetzen und mit viel Gedult langsam um die Ferse herum am Bein hochrollen -- 5 Minuten, pro Bein. Die Blouse durch beide Arme fädeln und sich dabei blos nicht selber rücklinks fesseln – 2 Minuten.

Ein Ganzanzug ist zwar was Körperbedeckung angeht sicher am Ertragreichesten, fordert aber ebenfalls viel Geduld, gerade bei der Abstimmung zwischen der Umhüllung der Beine und der Oberkörperspannung. Ebenfalls kritisch ist das einfädeln von dünneren Armen bei maßgeschneiderten Anzügen. Beim Nachsetzen und Entfernen der Falten im Gummi darf möglichst nicht zu stark und schon gar nicht mit Fingernägeln gezogen werden.

Wird Gummi über Gummi getragen, erhöht sich die Dauer je nach Klebewillen der einzelnen Lagen. Ist alles zurechtgerückt und man kann sich bewegen, ohne wie ein freigelassenes Gummiband in die Ausgangsposition zurückzuschnellen, beginnt die Phase, die auch ganze Autoclubs für das Wochenende ausbucht. Die recht stumpfe Gummihaut wird mit Silikonöl auf Hochglanz poliert oder jedenfalls gesprüht. (Dies ist die Phase, wo Frauen am "grabbeligsten" werden, wenn sie einen einsprühen ;-)

Glücklich ist, wer nach dem Anziehen keinen Krampf in der Brust hat. Ursachen gibt es bei Gummikleidung dafür viele: Talkum eingeatmet (Krebs), Silikonölnebel eingeatmet (sowas wie Krebs), Korsett zu eng geschnürt (hier einen Krebs zum Auftrennen der Schnürung) oder einfach zu enge Kleidung an (wodurch man rumkrebst). Ungefähr zehn Prozent weniger Umfang sollte eine enger Ganzanzug aus 0,35 mm Latex haben, damit er eben eng sitzt und noch nicht irgendwann stört. Ist er enger, wird's irgendwann zu eng.

Eine zweite Szene fehlt ebenfalls in fast allen Filmen: Von der vollen Gummiausrüstung wieder zurück zur nackten Haut. Ich muss zugeben, dass ein "echter" Gummifilm so eine Szene auch nicht braucht, aber betrachten wir einmal diesen Wechsel, der durchaus vorkommt. Dies ist eigentlich ein Entgegenkommen der Filmemacher. Jedes frisch gebackene Gummipäarchen, das eine (bisher nicht gesehene) Auszieh-Szene inspirierend aufgreift, wird mit im wahrsten Sinne des Wortes nackten Tatsachen konfrontiert: Rote Flecken dort, wo es eng wurde. Reißverschlussabdrücke, die einer Gleisstrecke gleichkommen, anstatt eines Zuges drückte die eigene Gummihaut die Gleise fest an. Und ein über keinen Film der Welt übertragender, oligofaktorischer Ab-turner, bei dem nur noch Duschen hilft. Ganz im Ernst: Den Reißverschluss eines Ganzanzuges lassen sie lieber zu beziehungsweise nehmen sich durch selbigen nur das Nötigste. Gummi hält dicht und warm -- ein Ganzanzug wird schnell zur privaten Mini-Sauna ohne Lüftung. Wenn dann noch Strümpfe oder gleich Füßlinge getragen werden, geht man in einer Art Auffangbecken für Schweiß (wodurch Füßlinge aufgrund mangelnder Austauschbarkeit klar gegen Strümpfe verlieren, wenn es um eine längere Tragedauer geht).

Wer trotz der realen Fakten alles (vielleicht sogar noch mehr) mag, ist ganz klar ein Gummika. Wer dann lieber die Fiktion nimmt, ist es wahrscheinlich nicht -- findet Gummikleidung aber immer noch (sehend) "anziehend".